Das Problem des ‚mentalen‘.



Rortys Erlaeuterungen zur „Erfindung des Mentalen“ (Der Spiegel der Natur. Frankfurt am Main 2008, 6. Aufl. S. 27 – 84.) die eine Fuelle von Hinweisen auf Details zu diversen philosophischen Ansaetzen aus Vergangenheit und Gegenwart enthalten, dienten keiner eigenen Theorie, sondern der Therapie der Philosophie, genauer der Philosophen. „Ein Leser, der nach einer neuen Theorie ueber die hier abgehandelten Themen sucht, wird enttaeuscht werden. Wenn ich »Loesungen des Leib-Seele Problems« diskutiere, so geschieht dies nicht in der Absicht, eine Loesung vorzuschlagen, sondern um zu verdeutlichen, warum es meiner Auffassung nach hier ein Problem gar nicht  gibt … Das Buch ist … therapeutisch.“ (Spiegel, S.17) Diese Therapie orientiert sich an Kenntnissen philosophischer Literatur, den darin zu findenden Konzeptionen und Ideen, die auch im philosophischen Diskurs der Gegenwart auftauchen. Sie beschreibt Sackgassen mit dem Hinweis darauf – anstatt rueckwaertsgewandt zu philosophieren -, sich mit den Problemen zu befassen, die Menschen heute bewegen. Insofern ist der Spiegel ein Buch fuer alle diejenigen, die davon ausgehen, dass ‚philosophieren‘ eine lohnenswerte Taetigkeit sein koennte. Rortys ganz andere philosophiegeschichtlichen Sichtweisen koennen zu neuen eigenen anregen.

Aus dieser ‚therapeutischen‘ Perspektive thematisierte Rorty ‚mentales‘ hinsichtlich Ursachen und dessen Folgen. Wenn herausgefunden werden soll, wie die Philosophie zu ihren gegenwaertigen Problemen gekommen ist, dann sei die Frage relevant: Wie kam es denn, dass Philosophen begannen, sich mit Geist, also mit Mentalem beschaeftigten? Es duerften unterschiedliche Fragen gewesen sein, die die Imagination frueherer Generationen angeregt haben, etwas zu fantasieren, das diesen Fragestellungen als Antwort dienen konnte. Kosmologische Vorstellungen der Antike gehoeren als Antworten dazu genauso, wie medizinische, mathematische … etc. Zu den philosophischen zaehlte fuer Rorty u. a. auch der Wunsch, feste Fundamente fuers Wahrnehmen und Handeln finden zu koennen. Antike Philosophen, die hier zurueckhaltend waren – wie die Akademiker, Skeptiker, Epikuraeer und Sophisten -, wurden aus meiner Sicht bis heute mehrheitlich nicht ernst genommen und an den Rand der philosophischen Gemeinde gedraengt.

Aus den ersten tastenden griechischen Loesungsversuchen fuer feste Fundamente haben spaetere Philosophengenerationen im Hinblick auf eigene Fragestellungen Antworten konstruiert, die eher weniger denen der philosophischen Vorfahren entsprochen haben duerften. Beispielsweise wurde ignoriert, dass die Nachfolger Platons, die Akademiker, ihre Bemuehungen in dieser Hinsicht einstellten. Im Gegenteil: Dem ‚mentalen‘ wurden sogar weitere Vermoegen zugeordnet, was als Fortschritt der Philosophie aufgefasst wurde. Das von Letztbegruendungen belastete Philosophieren des Mittelalters und der Neuzeit hatte die ’spielerische Offenheit‘ ionischer und attischer Philosophen nicht bemerkt oder fuer verbesserungsbeduerftig gehalten. Mittelalterliche und neuzeitliche Philosophen gingen – unter Maszgabe der einen Wahrheit – nun davon aus, dass die Griechen mit „nous“ etwas Wesentliches entdeckt hatten, das nur dem Menschen eigen war und seine einzigartige Stellung begruenden konnte.

Die griechische Setzung des Mentalen – meinte Rorty – duerfte aber willkuerlich entstanden sein, um z. B. Arten von Kenntnissen unterscheiden zu koennen – u. a. Kenntnisse ueber Geometrie von Kenntnissen ueber bauhandwerkliche Taetigkeiten. Man erfand ein ‚inneres Auge‘, nannte es ’nous‘, um analog zu Konkretem operieren und ueber Unterschiede reden zu koennen.  Diese Unterscheidung diente wohl auch dazu, zu erklaeren, weshalb dem Menschen nahe stehende Lebewesen bestimmte Phaenomene vermissen lieszen. Diese „Erklaerungsmodelle“ (Gregory Bateson), Provisorien bzw. Ersatz fuer ‚wissen‘ angesichts von Luecken im Weltbild koennten sich eventuell nebenbei im Gespraech ueber philosophische Ideen ergeben haben.  Es gab „… keinen besonderen Grund, warum diese visuelle Metapher von der Phantasie der Begruender des westlichen Denkens Besitz ergreifen konnte. Es geschah jedoch, und die Philosophen arbeiten noch immer die Konsequenzen aus. Sie analysieren die Probleme, die sich daraus ergaben, und stellen die Frage, ob an der Sache (’nous‘) nicht ‚doch etwas dran‘ gewesen sein mochte. Die Vorstellung der Kontemplation … macht das ‚innere Auge‘ [’nous‘, ‚intellectus‘, ‚Geist‘] zum unausweichlichen Modell des besseren Wissens.“ (Spiegel, S. 51)

Platon, Plotin und in der Folge Augustin Thagaste u. a. m.  entwickelten daraus sagenhafte Welten voller unwandelbarer Ideen, gleich bleibender Urteile (‚rationes aeternae‘), die ewigen goettlichen Ratschluessen glichen und die kirchliche Institutionen – insbesondere den hoechsten kirchlichen Wuerdentraeger – mit goettlicher Lehr-Autoritaet ausstatteten. Gemeinsam mit christlichen Auffassungen entstand so das Herzstueck der Philosophie, die Metaphysik, das ohne ‚mentales‘ und die zugehoerigen Hypostasierungen, „Metaphyzismen“ (Rolf Reinhold) wie Verstand, Vernunft … nicht mehr vorstellbar war. Dieses ‚mentale‘ war nicht nur selber unsagbar, also geheimnisvoll, sondern auf geheimnisvolle Weise mit Unwandelbarem bzw. Ewigem verbunden. Geheimnisumwittertes war immer schon anziehend für die menschliche Neugierde. So ungefaehr avancierte ‚mentales‘ zum Hauptgebiet und Selbstverstaendlichen der Philosophie. Der Leib-Seele-Dualismus brachte ferner Erkenntnistheorien und spekulative Systeme hervor. Dies fuehrte ueber die „Lehre der Begriffe“ in der Neuzeit, die Kant als spontane Hervorbringungen des Verstandes bzw. der Vernunft charakterisierte, bis hin zur modernen Sprachphilosophie. Die Idee, ‚mentales‘ sei etwas,  wurde auch hier implizit wirksam, um nun im Phaenomen „Sprache“ fundamentale Probleme des Leib-Seele-Dualismus zu loesen, was bisherigen Generationen mit der Metapher „inneres Auge“ bzw. „Geist“ nicht gelungen war. Doch bis heute haben wir nach 2000 Jahren – auszer den intuitiven Behauptungen vieler – „… nicht den leisesten Begriff davon, was das Mentale ist; …“ (Spiegel, S. 43)

Die Unkenntnis ueber ‚mentales‘ ist der entscheidende Hinweis Rortys, der sich im Hinblick auf unterschiedliche Aspekte und seiner Erscheinungen  immer wieder ergibt, so wie sie im Laufe der Geschichte und Ausarbeitungen von Philosophien vorkommen.  ‚Schmerz‘ war bisher vom ‚mentalen‘ ausgenommen, obwohl ‚Schmerz‘ bzw. die Abstraktion ‚Schmerzhaftigkeit‘ so aehnlich wie ‚geistig‘ und ‚Geist‘, ‚bewusst‘ und ‚Bewusstsein‘,… „Familienaehnlichkeiten“ (Spiegel, S.34) haben, die z. B. in „funktionalen Zustaenden“ bestehen. So betrachtet „…ist der Gedanke eines  mentalen Stoffes, aus dem Schmerzen und Meinungen bestehen, …genauso sinnvoll oder sinnlos wie der Gedanke eines Stoffes, …“ ( Spiegel, S. 43) aus dem Empfindungen, Abstraktionen, Vorstellungen, Erinnerungen … etc. bestehen koennten.

Fazit: Für Rorty ergab sich, dass Metaphern die Philosophie dominieren (Spiegel, S. 22). Es folgt ‚mentales‘ kann als ueberholt angesehen werden. Abgeschafft wird zusammen mit dem spaeten Heidegger, Dewey und Wittgenstein „…die gemeinsame Idee »des Bewusstseins« als eines besonderen, in einem inneren Raum angesiedelten Forschungsbe­reichs… Sie verabschieden Erkenntnistheorie und Metaphysik als moegliche Disziplinen. Ich sage »verabschieden« und nicht »argumentativ wider­legen«, denn ihre Einstellung zur traditionellen Problematik gleicht jener der Philosophen des siebzehnten Jahrhunderts zu den Problemen der Scholastik. … Vielmehr erblicken sie die Moeglichkeit einer alternativen Lebens­form, fuer die das vom siebzehnten Jahrhundert ueberkommene Vokabular philosophischer Reflexion so inhaltsleer erschiene wie das Vokabular der Philosophie des dreizehnten Jahrhunderts fuer die Aufklaerung. Man hat nicht unbedingt eine bestimmte Kantische Doktrin zu widerlegen, um die Moeglichkeit einer nachkantischen Kultur geltend zu machen, in der kein allumfassendes Fach mehr die uebrigen Disziplinen legitimiert und begruendet. So hatte man auch nicht unbedingt die Behauptung des hl. Thomas, Gottes Existenz lasse sich aus natuerlicher Vernunft beweisen, zu widerle­gen, um die Moeglichkeit einer Kultur zu sehen, in der es entweder keine Religion mehr gab oder keine Verbindung zwischen Religion und Wissenschaft oder Politik. Wittgenstein, Heidegger und Dewey fuehrten uns in ein Zeitalter »revolutionaerer« Philosophie (im Sinne von Kuhns »revolutionaerer« Wissenschaft), indem sie neue Landkarten des Terrains (des gesamten Panoramas menschli­cher Taetigkeiten) entwarfen, auf welchen die vormals dominanten Merkmale einfach nicht verzeichnet waren.“ (Spiegel, S. 15f)

Auch die Sprachphilosophie darf als ueberholt angesehen werden: „Die »analytische« Philosophie eine neue Variante des Kantianismus, sie zeichnet sich vor allem dadurch aus, dasz sie sich das Vorstellen nicht als eine mentale, sondern als eine sprachliche Taetigkeit denkt und nicht eine »transzendentale Kritik« oder eine Psychologie, sondern Sprachphilosophie fuer die Disziplin haelt, die die Grundlegung Erkenntnis leistet. Ihre Betonung der Rolle der Sprache aendert Cartesisch-Kantische Problematik nicht wirklich (wie ich vierten und im sechsten Kapitel zeigen werde) und verhilft Philosophie daher auch nicht zu einem neuen Selbstverstaendnis. Die analytische Philosophie legt sich immer noch darauf fest, der Wissenschaft – und demnach der Gesamtheit der Kultur – ein zeitloses neutrales Bezugssystem anzubieten.“ (Spiegel, S. 18)

Rorty wird angesichts solcher Aussagen gern vorgeworfen, er habe das Mentale aus der Philosophie eliminiert. Meine Lektuere und die hier notierte Zusammenfassung der Evolution der Metaphysik legt mir die Behauptung nahe, dass „mentales“, ‚bewusstes‘, ‚geistiges‘ … etc. nicht wirklich vorhanden waren. Es handelt sich dabei eher um riesengrosze Spekulationen – meinem Empfinden nach dem in der Wirtschaft üblichen schwindelerregenden Handel mit Leeraktien -, die man fuer bare Muenze genommen hat. Rolf Reinhold bezeichnet diese  Metaphern als „riesengrosze Wolken“. Fritz Mauthner meinte vor ca.  100 Jahren Metaphern wie Geist und Bewusstsein, seien im Begriff zu verschwinden.  (Fritz Mauthner: Wörterbuch der Philosophie. Leipzig 1923, 2. Aufl. Band 1, S. 174-182. BEWUSSTSEIN) Die von Rorty erwaehnte „privilegierte Zugangsweise“ ist das vermeintlich „unkorrigierbare Wissen“ um diese Wolken. Rorty gab eine Fuelle von Hinweisen, um dazu anzuregen, dass jeder sein festgefahrene Wissen um ’nichts‘ hinter sich lassen kann, wenn er es moechte.

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