therapeutisch gesinnter Philosoph

Bei den Auseinandersetzungen unter Historikern geht es um Fragen, die eine ‚kontinuierliche Entwicklung‘ bestimmter Probleme – z.B. Erkenntnistheorie und Metaphysik – von der Antike bis heute betreffen. „Diejenigen unter uns, die Zweifel an der kontinuierlichen Entwicklung … hegen, bemuehen sich um die Erkundung einer Abfolge weitgehend diskontinuierlicher, aber stets ‚philosophisch‘ genannter Problemstellungen, die durch jeweils verschiedene Krisen der Kultur hervorgebracht wurden. Dabei werden diese Krisen als so verschiedenartig aufgefasst, dass es wenig Sinn hat, Locke als Nachfahren des Aristoteles oder als Vorlaeufer Heideggers zu sehen.“ [1]

Ich beschaeftige mich zuerst mit Rorty’s Zurueckhaltung gegenueber der Idee, es gaebe so etwas wie eine kontinuierliche Entwicklung von Problemstellungen in der Geschichte der Philosophie. Manche kennen diese Idee vor allem als die Hegels, der in der Geschichte der Philosophie das Wirken ‚des sich dialektisch entfaltenden Geist‘ sehen zu glaubt. Dies kann in seinen ‚Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie‘ nachgelesen werden. Doch auch anders benannte Motoren der Geschichte der Philosophie – wie die der Vernunft, des Bewusstseins – gibt es und hat es gegeben. In nichtphilosophischen Geschichtswissenschaften ist auch Kontinuitaet von Entwicklungen ein vielfaeltig gebrauchtes Instrument. Rorty weist darauf hin, dass heute in der Philosophie die Annahme einer ‚kontinuierlichen Entwicklung‘ mit Skepsis betrachtet wird, die er teile. Er kritisiert dazu u. a. dass die Idee einer ‚kontinuierlichen Entwicklung‘ sich ganz selbstverstaendlich und unreflektiert damit verbindet, dass – wie Jonathan Rée formulierte – „historisches Bewusstsein … von kategorialer Wichtigkeit fuer den Philosophen“ [2] sei. Eine Auffassung die auch unter deutschen Philosophen der Gegenwart vorherrschend ist und sich entsprechend im universitaeren Lehrkanon niederschlaegt. In neueren Philosophiegeschichten istimmer noch  zu lesen: Es gibt eine ‚kontinuierliche Entwicklung‘ von Fragestellungen, Problemen und Begriffen. [3] Diese merkwürdige Überzeugung von einer ‚kontinuierliche Entwicklung‘ scheint tief verwurzelt in den Köpfen und Herzen vieler Philosophen. Wieso eigentlich? Und vor allem: Was kommt dabei heraus? Dieser Frage ist übrigens auch Rorty nachgegangen. 

Hinter Rorty’s Skepsis verbirgt sich seine andere Sicht auf die Funktion der Philosophiegeschichte fuer die Philosophie. Diese hat er bereits in seinem ‚Spiegel der Natur‘ im Zuge seiner erkenntnistheoretischen und damit zusammenhaengenden Untersuchungen ueber das ‚Leib-Geist-Problem‘ ausfuehrlich dargestellt. Er hatte damals geaeuszert – mit Bezug auf sein ‚philosophieren‘ -, dass es ‚therapeutische Auswirkungen‘ hat, wenn man sich mit Philosophiegeschichte rational, historisch rekonstruierend und im geistesgeschichtlichen Rahmen so beschaeftigt, wie er es getan hat. Dies haette bei ihm im Falle der Erkenntnistheorie und des Leib-Geist-Problems dazu gefuehrt, zu unterstellen, dass ‚Geist‘ in der Philosophie deshalb eine ontologische Dimension erhalten habe, weil Philosophen in zeitgemaeszer Weise im Rahmen von Problemloesungen fuer ihre jeweilige Gegenwart darueber gesprochen und geschrieben haetten. Weil dabei bestimmte Woerter in Umlauf kamen, wurde es moeglich philosophischen Texten im Nachhinein eine bestimmte, wenn auch spaetere (Hinein-)Interpretation zuzuordnen.

Vehement wurde diese Einschaetzung mehrheitlich mit dem Etikett ‚Sakrileg‘ beklebt. Man urteilte, Rorty habe das Ende der Philosophie eingelaeutet. Er wuenschte sich fuer die Philosophie aber nur den Verzicht auf Fragen und Antworten, die angeblich Ewigkeitscharakter haben. Dies sollte den Raum oeffnen fuer ein ‚philosophieren‘ zu Problemen der Gegenwart. Ihm schwebte vor, dass an diesem ‚Gespraech‘ sich weltweit alle ‚Denker und Dichter‘ beteiligten. Philosophiegeschichte koenne nicht lehren, worueber in diesem Gespraech gesprochen und wie gesprochen werden soll. Im Gegenteil sie sei sogar hinderlich. Wenn Philosophiegeschichte im eigenen Denken assimiliert wird, wirke sie als ‚Schattengeschichte‘ (Richard Watson). In der Folge halten normale Philosophen die eroerterten Probleme fuer echte philosophische Probleme, die sie von Problemen der Gegenwart abhalten. Die letzteren mit Loesungsvorschlaegen zu versorgen, ist aber fuer Rorty ‚philosophieren‘. Er teilte mit Dewey diese Auffassung.

Die Idee eines ‚menschheitsumfassenden Gespraeches‘ – befreit vom nutzlosen Ballast der Geschichte – verfolgte er mit seiner Art zu ‚philosophieren‘. Seine vielen schriftlichen und muendlichen Gespraeche mit Philosophen der Gegenwart zeichneten sich durch Akzeptanz und Beschreibung von deren Aeuszerungen aus. Es ging Rorty um Gemeinschaft. Die Teilnehmer dieses gemeinsamen ‚philosophieren‘ – von dem niemand wegen mangelhafter philosophiegeschichtlicher Kenntnisse ausgeschlossen ist – stehen stets im Wettkampf um die besten Ideen. Ein Wettkampf, der unentschieden ausgehen duerfte. „… doch solange er weiter ausgetragen wird, werden wir nicht jenes Gemeinschaftsgefuehl verlieren, dessen Moeglichkeit sich allein dem leidenschaftlichen Gespraech verdankt.“ [4] Anstelle von behaupteten ‚kontinuierlichen Entwicklungen‘ soll ‚philosophieren‘ Kontinuität von Gemeinschaft ermöglichen. Sie wäre eine Gemeinschaft, die im ‚Kontakt miteinander‘ (Rolf Reinhold) entsteht, sich verändert und sich stets mit Aktuellem befasst. 

 

[1] Rorty: Die Kontingenz der philosophischen Probleme. In: Ders.: Wahrheit und Fortschritt, 395 – 415. Ffm. 2008, 6. Aufl., 398.
[2]  Zit. ebd. 395.
[3] Vgl. Wolfgang Roed: Der Weg der Philosophie von den Anfaengen bis ins 20. Jahrhundert: Bd I. Muenchen 2000, S. 15-18.
[4] Rorty: Vier Formen des Schreibens von Philosophiegeschichte. 355 – 394. In: a.a.O. S. 394.

Rorty Metaphilosophie


Die Erforschung der unbemerkten Selbstverstaendlichkeiten

Philosophische Probleme sind Produkte

Die Mehrheit der Philosophen gehe ueblicherweise davon aus, dass es die Philosophie mit Problemen zu tun habe, die sich jedem zeigten, der anfange nachzudenken. (Vgl. Richard Rorty: Philosophy and the mirror of nature. Princeton University Press 2009, S. 3. ) Das, was er bei Rudolph Carnap, Carl Hempel , Charles Hartshorne und Paul Weiss gelernt habe – erlaeuterte Rorty 1979 im Vorwort des „Spiegel der Natur“ – habe ihn dagegen veranlasst, davon auszugehen: Ein ‚philosophisches Problem‘ ist ein Produkt.

Metaphilosophie als Erforschung philosophischer Produkte

„Dieses ergab sich durch unbemerkt uebernommene Behauptungen, die in den Wortschatz Eingang gefunden hatten, mit denen das Problem dargestellt wurde. Bevor ein ‚philosophisches Problem‘ also einer ernsthaften Loesung zugefuehrt werden durfte, mussten diese Behauptungen untersucht werden.“ (Ebd. S. XXXI.)

Wenig spaeter sei er durch Wilfrid Sellars‘ Angriff auf den „Mythos des Gegebenen“ und Willard Quine’s Auseinandersetzung mit dem ‚Verhaeltnis zwischen Sprache und Tatsachen‘ angeregt worden, weiter in der bereits erwaehnten Richtung zu forschen. „Von da an bemuehte ich mich zunehmend die Behauptungen freizulegen, die hinter der Problematik moderner Philosophie steckten.“ (ebd.)

Verzicht auf Behauptungen ueber Wahrheit und Objektivitaet

Dieses umfangreiche Projekt Rorty’s war der Nachfolger eines ersten nicht weniger umfangreichen gewesen, das fuer Rorty’s Philosophieren weitreichende Folgen hatte. Angeregt durch seine metaphysisch orientierten Lehrer in Chicago hatte er sich in diesem ersten Projekt darum bemueht, in der Metaphysik einen voraussetzungslosen Ausgangspunkt fuer sein Philosophieren zu finden. Seine Forschungen hatte er mit dem Resuemee beendet, dass bisher kein Philosoph Platons ’sagenhaften Ort der Wahrheit und Objektivitaet‘ erreicht habe. Philosophen seien deshalb dazu uebergegangen, durch strategisch gekonntes Argumentieren Behauptungen ueber Wahrheit und Objektivitaet zu beweisen. Er entschied, dass es fuer ihn nicht in Frage kaeme, diesen mehrheitlich beschrittenen Weg des Philosophierens zu nehmen.

Die fragwuerdige Selbstverstaendlichkeit des Mentalen

Sein zweites Projektes fuehrte ihn im Wesentlichen zur Selbstverstaendlichkeit des Mentalen in unseren Denkgewohnheiten  Er veroeffentlichte Aussagen dazu u.a. 1967 in der Einleitung seines zu Studienzwecken herausgegebenen Buches „Die linguistische Wende“, 1972 in seinem Aufsatz „World well lost“ und schliesslich umfassend und detailliert 1979 in „Der Spiegel der Natur“. Er stellte sie in den Jahren vor dessen Erscheinen in den studentischen Diskurs und trug sie auf unterschiedlichsten Veranstaltungen im Zusammenhang mit modernen philosophischen Positionen vor. Die Vertreter des amerikanischen Mainstreams der Philosophie – ueberwiegend Analytische Philosophen – ignorierten nicht nur seine vereinzelt veroeffentlichten Ergebnisse, sondern auch den „Spiegel der Natur“. Letzterer wurde von Laien mit grosser Resonanz und Zustimmung gelesen. Rorty’s Wunsch, dass seine Forschungsergebnisse die philosophische Fachwelt zu Untersuchungen ihrer ‚unbemerkt zu eigen gemachten Behauptungen‘ anregen koennte, erfuellte sich bisher nicht.

Viele Philosophen halten nach wie vor unbeirrt an mentalen Irrtümern fest, wenn sie behaupten, “ … dass die Kriterien der Wahrheit … mit Gründen transzendiert werden können.“ Dies wird behauptet, obwohl bereits zugestanden wird, dass es nicht möglich sei, einen neutralen Standpunkt einzunehmen. (vgl.  Udo Tietz: Sprache und Verstehen in analytischer und hermeneutischer Sicht. Berlin (Akademie) 1995, S. 268. ) Auch transzendentalphilosophische Verbalkonstrukte wie Philosophie solle ‚auf der höchsten denkbaren Reflexions- und Allgemeinheitsstufe Aussagen … formulieren, die sagen, wie es sich überhaupt verhält.‘ (Vgl. K.-O. Apel, Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1998. Rezension) haben aus meiner Sicht nichts Neues gefunden. Sie dienen lediglich dazu an der üblichen „philosophischen Argumentation“ teilzunehmen (Vgl. Apel: Transformation der Philosophie. Bd. 1, Frankfurt am Main (Suhrkamp), 1973, S. 62.), wie sie u.a. im Rahmen der Diskursethik immer noch in althergebrachter Weise geführt wird. Sie können m.E. – wie Rolf Reinhold formulierte – als „Pfeifen im Wald“ angesehen werden, um zu verbergen, dass Mentales im Dunkeln liegt.

Es scheint so, als ob auch für Philosophen die von Hume getroffene Feststellung gilt, dass die Gewohnheit die große Führerin durch unser menschliches Leben sei. Der  seit Jahrhunderten ausgebliebene philosophische Diskurs über Humesche Ansätze könnte ein weiteres Indiz dafür sein, dass philosophierende Menschen all zu Selbstverständliches – die  ‚unbemerkt übernommenen Behauptungen‘ – für bare Münze nehmen und so auch gegen kapierbare  Einwände unbeirrt daran festzuhalten.

Rorty: ‚philosophieren‘, um Raeume zu oeffnen



Ausgangspunkt war seine erworbene Gruendlichkeit philosophischen Problemen nachzuspueren. Seine Ergebnisse wurden heiß diskutiert, waren umstritten, er erfuhr Ablehnung und persoenliche Anfeindungen. Und doch wurden viele seiner Schriften weltweit uebersetzt, selbst Studenten in Teheran lasen und lesen sie mit großem Interesse, was selbst Rorty ueberraschte. ‚Sie teilen vermutlich Traeume von einem ’sozialdemokratischen Utopia, so wie ich sie mit Habermas teile‘, meinte er dazu sinngemaeß 2004 in einem Interview mit der Tageszeitung DIE WELT.

Idealen Raeume eroeffnen

Rortys philosophische Forschungsergebnisse koennen m.E. Traeumen Moeglichkeiten eroeffnen und Idealen Raum geben, sich zu entfalten, weil sie traditionelle Sichtweisen und neue Sichtweisen emanzipieren . Die Dominanz der traditionellen Auffassung, dass der Mensch aus Leib und Geist bestehe, ist genauso erfunden, wie wenn jemand behauptete, der Mensch ist Physis. Wir sind nur daran gewöhnt, es so zu sehen, denn  Gewohnheit – das hat schon Hume bemerkt – ist ‚die große Führerin‘ im menschlichen Leben, und das tut sie meist ganz im Verborgenen. ‚Mentalem‘ wird aus Gewohnheit von der Mehrheit der Philosophen die Faehigkeit eingeraeumt, dem Menschen verlaessliches Wissen – ‚Erkenntnisse‘ – ueber sich selbst und die Welt verschaffen zu koennen.  Descartes ‚Cogito ergo sum‘ – ‚Ich denke, also bin ich.‘ – hat philosophiegeschichtlich diese Selbstgewissheit begründet. Heutzutage wächst die Zahl der Menschen, die einräumen nicht zu wissen, ob sie einen Geist haben. Philosophen wurden so zu ‚privilegierten‘ Fachleuten fuer WAHRHEIT. Laengst sind sie zwar von diesem Podest gestoßen, weil sich nicht nur andere Wissenschaften in diesem Punkt hervorgetan haben und gescheitert sind, sondern weil auch JEDERMANN inzwischen festgestellt hat, dass Wissen ein ‚fluechtig Ding‘ ist. Aber es gibt immer noch Philosophen, die das nicht gemerkt haben: Die Gewohnheit ist eine große Führerin im menschlichen Leben. Wenn die Philosophie nicht dazu tauge, allgemein-gueltige Fundamente unseres Wissens zu legen, solle sie zusehen, wie sie dem menschlichen Handeln auf andere Weise nuetzlich sein kann, anstatt sich im Abseits akademischer Hoehenluft mit sich selbst zu beschaeftigen und sich so nach und nach selbst zu entsorgen, was inzwischen – zumindest an deutschen Universitaeten – in vollem Gange ist.

Philosophische Kenntnisse pragmatisch nutzen

Rorty hatte selbst nur vage Vorstellungen – was ihm oft zum Vorwurf gemacht wurde – darueber, worin Philosophen der Gesellschaft von Nutzen sein koennten: „Werde ich gefragt (leider werde ich oft gefragt), was ich fuer den ‚Auftrag‘ oder fuer die ‚Aufgabe‘ der zeitgenoessischen Philosophie halte, muss ich nach Worten suchen. Ich stottere herum und sage bestenfalls so etwas wie, dass wir Philosophieprofessoren Leute sind, die eine bestimmte Vertrautheit mit einer bestimmten intellektuellen Tradition haben, so wie Chemiker eine bestimmte Vertrautheit damit haben, was passiert, wenn man unterschiedliche Substanzen miteinander vermischt. Wir koennen auf der Basis unserer Kenntnisse der Ergebnisse frueherer Experimente raten, was passieren wird, wenn man versucht, bestimmte Ideen zu kombinieren oder voneinander zu trennen. Waehrend wir das tun, sind wir in der Lage jemandem zu helfen, die ‚eigene Zeit im Denken zu tragen‘.“ [‚Trotsky and the Wild Orchids‘ (1992). Wiederabdruck in Rorty: Philosophy and Social Hope (1999)]. Der deutsche Text ist hier.

Auf Menschen setzen

Aus meiner Sicht koennen Neuanfaenge wie sie Rorty im Blick zu haben scheint, nicht mehr als derart ‚minimalistisch‘ sein. Vergleichbar moeglicherweise einem anderen Neuanfang, den vor ca 3000 Jahren Homer initiierte, als er mit seinem Odysseus die Parole ausgab, weniger den Goettern als sich selbst zu trauen. Solche Speerspitzen fliegen oft weit voraus und muessen gleichzeitig in den Herzen und Koepfen vieler Menschen Wiederhall und Inspiration wecken koennen, damit sie anders handeln und denken lernen koennen. Auf diese Weise koennen Gesellschaften sich weiterentwickeln.

Raeume für Diskurse um Menschliches

Philosophieren koennte zukuenftig eine ‚gemeinsame Sache‘, nicht mehr die Angelegenheit weniger – systematischer – Philosophen sein, sondern aller, die dazu schreibend und selberdenkend einen Beitrag leisten koennen. Rorty warb fuer eine ‚edifying‘ Philosophie, anstelle der ’systematischen‘, die er weder fuer entwicklungsfaehig noch fuer entwicklungsfoerdernd hielt, weil sie auf Gewissheit, Ewigkeit und Sicherheit aus ist. Ganz anders die Philosophen der ‚edifying philosophy‘, die sich ihrer Zeit und ihrer eigenen Zeitlichkeit verpflichtet fuehlen und davon ausgehen, dass „ihre Schriften ihre Stoßkraft einbueßen werden, wenn die Epoche auf die sie reagieren, vorueber ist.“ [Rorty: Spiegel der Natur, S. 399] Den Terminus ‚edifying philosophy‘ moechte ich mit „offene Philosophie“ transponieren, anstatt mit ‚bildende Philosophie‘ wie dies Michael Gebauer im ‚Spiegel der Natur‘ tut. Denn durch das ‚gemeinsame Gespraech‘, in das sich der ‚offene Philosoph‘ einmischt, soll das gefoerdert werden, was die westlichen Gesellschaften in der Zukunft mehr und mehr brauchen werden. Dies dürfte ein ‚offenes Projekt‘ sein. Eine sich weiterentwickelnde gemeinsame Sprache, die ohne den mentalen Balast der Vergangenheit menschlichem Denken und Handeln neue Moeglichkeiten eroeffnet. Einen Diskurs zwischen Einzelnen, zwischen Gesellschaften und Wissenschaften, in dem es darum geht herauszufinden, was der Evolution unserer Menschlichkeit nuetzt, ohne dabei der Taeuschung zu verfallen – wie dies immer noch weit verbreitet geschieht -, es beduerfe dazu „ewig gueltiger Normen“, die Rorty allesamt fuer Dichtung haelt.

Raeume für menschliche Evolution

Immer noch herrsche naemlich in unserer menschlichen Forschung die Auffassung „von der Durchdringung des Schleiers der Erscheinungen“ [vgl. Rorty:Wahrheit und Fortschritt. S.175], meinte Rorty. Immer noch bemuehen sich Wissenschaftler hinter den Erscheinungen die Dinge, so wie sind zu erfassen, anstatt sie so aufzufassen, wie sie erscheinen. Dieses Streben dürfte nicht nur den meisten unverstaendlich sein, sondern hat sich auch philosophisch als Sackgasse erwiesen. Die Rolle eines ‚offenen  Philosophen“ bestehe darum heute darin in einem quasi ersten Schritt, „…uns zu helfen, die Selbsttaeuschung zu vermeiden, der wir verfallen, wenn wir unsere Selbsterkenntnis durch die Erkenntnis objektiver Tatsachen zu erzielen glauben …“[Rorty: Der Spiegel der Natur. S. 404]