Von den Schwierigkeiten Selbstverstaendliches und Irrtuemliches zusammen zu sehen



‚Rortyphilosophie‘ scheint mir ein gutes Beispiel dafuer zu sein, dass wissenschaftliche Forschungsergebnisse dann verhallen, wenn sie aus dem Mainstream der ‚Selbstverstaendlichkeiten‘ einer Wissenschaft fallen. Diese ‚Selbstverstaendlichkeiten‘ nennt man in der Philosophie „Erkenntnisse“. Mit ‚Selbstverstaendlichkeiten‘ einer Wissenschaft koennte man das bezeichnen, was in einer Wissenschaft als fraglos gegeben angesehen wird, d.h. das, was sich von selbst versteht und insofern selbstverstaendlich ist. Rolf Reinhold ueberraschte mich mit der Aeußerung: Zwischenmenschliches werde durch Selbstverstaendliches beeintraechtigt. Dies kann z.B. die Art und Weise sein, wie jemand die Zahnpasta aus einer Tube drueckt. In der Philosophie ist es die Metaphysik, bzw. sind es Metaphyzismen, wie das ‚Mentale‘ , das zu den mehrheitlich geteilten Selbstverstaendlichkeiten zaehlt. Das ‚Mentale‘ duerfte nur in Als-ob-Fragen unter dem formal-methodischen Mantel der Wissenschaftlichkeit angetastet werden koennen. Oder es wird interpretierend Gehirnfunktionen uebergestuelpt. Beides sind in meinen Augen Symptome fuer die selbstverstaendliche Unantastbarkeit des ‚Mentalen‘. Wer diese philosophischen Tabus verletzt, duerfte mit den Folgen seines Handelns leben muessen.

Alltaegliche und wissenschaftliche ‚Selbstverstaendlichkeiten‘ sind nach meinen Beobachtungen fest verwurzelt und dem Einzelnen in Fleisch und Blut uebergegangen sein. Er scheint sie als einen von ihm erworbenen Besitz zu betrachten, dem mit dem Terminus ‚Erkenntnis‘ Wissenschaftlichkeit und Wahrheit zugeschrieben wird. Die ‚Selbstverstaendlichkeit des Mentalen‘ hat Rorty in seinem „Spiegel der Natur“ erlaeutert. Wie schmerzhaft diese Ergebnisse von Metaphysikern erlebt wurde, laesst sich dem Aufschrei ‚Dekonstruktion‚ entnehmen. Habermas ist meiner Kenntnis nach der einzige deutsche Philosoph, der den Nutzen dieser Dekonstruktion bemerkt hat: „Rorty hat den Wunsch, der Philosophie jene lebenspraktische Bedeutung zurueckzugeben, die sie einmal beansprucht hat. Sie soll, indem sie dem Einzelnen Orientierung anbietet, und den moralischen Fortschritt der Menschheit befoerdert, den Zustand der Welt verbessern helfen.“ (Juergen Habermas: Richard Rorty und das Entzuecken am Schock der Deflationierung. Laudatio aus Anlass der Verleihung des Meister-Eckhardt-Preises an Richard Rorty am 3.12.2001.)

Menschen, die davon ausgehen, dass das Aufdecken von moeglichen Irrtuemern auf offene Ohren und Arme treffen duerfte, befinden sich selber im Irrtum. Die Entlastung, die durch Aufdecken entsteht, vermag nur der zu erleben, fuer den das Irrtumsbehaftete zur Last geworden ist. Selbstverstaendlichkeiten duerften aber eher als Erleichterung angesehen werden. Außerdem verbinden sie Menschen in stillem Einvernehmen, was fuer alltaegliche und wissenschaftliche Gemeinschaften wichtig ist. Eventuell dienen sie als Schutzwall gegen das, was man nicht, bzw. noch nicht kennt. Rortys ‚edifying philosophy‘ wurde und wird weitgehend mit Unverstaendnis begegnet. So scheinen Selbstverstaendlichkeiten eine gewisse Blindheit gegenueber dem zu erzeugen, das sich unmerklich als Dekonstruktion in einer Wissenschaft oder Beziehung ausbreitet. Die ‚Gewohnheit als Fuehrerin durch unser Leben‘ wirft Schatten. Das was im Dunkeln liegt, muesste genau angesehen werden, wenn Menschen herauszufinden moechten, ob es brauchbar sein koennte. Solange davon ausgegangen wird, dass ausreichend Licht vorhanden ist, wird man sich von diesen Nebenschauplaetzen eher fern halten.

Rorty galt lange Zeit als profilierter Vertreter der amerikanischen Analytischen Philosophie. Sein Sammelband „Die linguistische Wende“ fungierte aus meiner Sicht bereits als Anregung,  sich den philosophischen Fragen zuzuwenden, die bisher im Dunkeln liegen gelassen worden waren. M.E. laesst sich dies aus der Einleitung und dem Charakter „Studienbuch“ entnehmen. Dies wurde in den sechziger Jahren kaum bemerkt. Als Rorty dann im „Spiegel der Natur“ seine Forschungsergebnisse und seine Schlussfolgerungen dazu vorlegte, fiel die Fachwelt aus allen Wolken. Ich gehe davon aus, dass dies dem entsprach, was Profis bei der Lektuere empfanden. Laien – philosophische und wissenschaftliche Autodidakten – nahmen Rortys Ergebnisse interessierter und positiver zur Kenntnis. Gewissenhafte Autodidakten duerften sich vom Schweigen der Fachwelt irritiert gefuehlt haben.

Rorty hat den Weg zu seinen Forschungsergebnissen in seinem philosophiebiographischen Aufsatz „Trotzki und die wilden Orchideen“ so charakterisiert: Ich habe „… im Folgenden versucht, etwas darueber zu sagen, wie ich in meine gegenwaertige Lage gelangt bin – ich erzaehle davon, wie ich zur Philosophie gekommen bin und dass ich mich bald danach in einer Situation wieder fand, in der ich auszer Stande war, Philosophie so zu betreiben, wie ich es mir urspruenglich vorgestellt hatte. Vielleicht kann der Bericht ueber dieses Stueck aus meinem Leben … klaerend dazu beitragen, dass ich mir meine Sichten mit Sinn und Verstand angeeignet habe.“

Rorty, Kant und ich

Das was ist, hängt ab von dem, was viele glauben, dass es so sei.

Das kulturell wirksame Konzept einer Philosophie, „… das als ‚Gerichtshof einer reinen Vernunft‘ verfasst wurde, … verdanken wir vor allem Kant, …“ der wiederum in der Tradition Cartesianischer und Lockescher Philosophie stand. (Vgl. Richard Rorty: Philosophy and the mirror of nature. Princeton University Press 2009, S.4.)

Als ich dies vor wenigen Jahren zum ersten Mal las, stimmte ich spontan zu. Rorty‘ s Resuemee schien das meine zu treffen, dass sich mir in Jahrzehnten meines philosophischen Selberlernens nahe gelegt hatte. Zum ersten Mal war mir 10 Jahre vor meiner ersten gruendlichen Rorty-Lektuere deutlich ein verwandter Gedanke bei eigenen Transkriptionen von Texten des Augustin von Thagaste gekommen. Ich hatte mich damals gefragt, wieso der Diskurs zwischen Augustin und seinen Zeitgenossen niemals grundlegende Annahmen bzw. Behauptungen – wie z.B. die Dichotomie von Geist-Seele und Koerper – thematisiert hatte. Vermutlich deshalb, so ergab es sich mir spontan, weil alle seine Gespraechspartner davon ausgingen, dass es so ist. Die Rede Rorty’s vom therapeutischen Wert der Beschaeftigung mit der Philosophiegeschichte hatte sich fuer mich so bestaetigt.  Augustin und seine Zeitgenossen teilten die gemeinsame Auffassung, dass der Mensch sowohl aus Koerper als auch aus Geist bestehe. Ohne diese gemeinsame Auffassung waere ein Diskurs in der Art und Weise nicht gelungen, wie sie u.a. der umfangreiche Briefwechsel des Augustin von Thagaste dokumentiert. Damals trauerte ich diesen Zeiten nach, weil ich in meinen Diskursen erlebte, dass es keinen derartigen Konsens mehr gab – ausser ich blieb unter meinesgleichen, was ich aber nicht wollte. Ich hatte in meinem Alltag mit Menschen unterschiedlichster Auffassungen zu tun und hatte den Wunsch zu kapieren, was sie zu ihren jeweils anderen Auffassungen veranlasste.

Grenzen des Selberdenkens bei Kant

Kant galt zur Zeit meines Studiums als Philosoph, der Selberdenken propagierte. Wie ich spaeter nach Jahren meiner autodidaktischen Kantlektuere resuemierte, konnte er Selberdenken nur im Rahmen bestimmter Parameter denken, die mir im Laufe meines alltaeglichen Handelns fragwuerdig geworden waren. Unter Kantianern – Menschen mit grundsaetzlich Kantischen Auffassungen – wurden meine Fragen nach dem, was sie so selbstverstaendlich mit Vernunft, Verstand und Pflicht bezeichneten, abgewehrt. Mir schien, dass sich fuer Rorty aehnliche Fragen gestellt hatten. Ich folgte seinen Anregungen zu denen sich die von Rolf Reinhold gesellten und wurde bei Kant fuendig. In einem Vortrag in einer universitaeren, interdisziplinaeren AG stellte ich mein Resuemee vor: Ich erlaeuterte, dass Kants ‚Apriori‘ ein ‚Erklaerungsmodell‘ sei, das den Nachweis der von Kant behaupteten ‚apriorischen Anschauungen und Begriffe‘ zwar behauptet, aber letztlich verfehlte. Daher taugten letztere aus meiner Sicht nicht als Anleitung eines interdisziplinaeren Diskurses der Gegenwart. Die Teilnehmer waren ueberwiegend Nichtphilosophen, die aber das kantische Konzept der reinen Vernunft enkulturell erworben und fuer unser Thema ‚Neurophilosophie‘ als irgendwie brauchbar betrachteten.

Textstellen aus der Kritik der reinen Vernunft – wie folgende – benutzte ich damals, um meine Schlussfolgerungen kapierbar zu machen: „Ich verstehe unter einer transzendentalen Eroerterung die Erklaerung eines Begriffs, als eines Prinzips, woraus die Moeglichkeit anderer synthetischer Erkenntnisse a priori eingesehen werden kann. Zu dieser Absicht wird erfordert, 1) dass wirklich dergleichen Erkenntnisse aus dem gegebenen Begriffe herfliessen, 2) dass diese Erkenntnisse nur unter der Voraussetzung einer gegebenen Erklaerungsart dieses Begriffs moeglich sind.“ (ebd.§3)

Hier wird m.E. ein spezifisch apriorisches Erklaerungsverhalten deutlich: Eines bedingt das andere und es entsteht ein geschlossener Kreis (homöostatisches Prinzip), der nur schwer zu knacken ist und zusaetzlich durch Wortschatz und verzwickte grammatikalische Konstruktionen unklar wirkt. Zirkelschluesse hatte ich frueher selber vollzogen, ohne sie zu bemerken. Hinweise anderer darauf haben mich immer mal wieder nachdenklich gemacht. Mehr duerfte mir mit meinem Vortrag damals auch nicht gelungen sein. Im Gefolge der These, dass alles, was jemand sagt, Menschen perturbiert mit der moeglichen Folge einer Veraenderung, habe ich die Abwehr meiner Thesen zu Kant als verstaendliche Reaktion akzeptiert. Ich vermute, dass auch Rorty die Kritik an seinen Forschungsergebnissen unter aehnlichen Aspekten betrachtet hat.

Die Physis ist marginal – Vernunft und Verstand sind dominant

Kant, so erlaeuterte ich damals weiter, schien der Auffassung zu sein, dass er mit seiner‘ transzendentalen Aesthetik‘ etwas ‚Objektives‘ aufzuzeigen in der Lage sei, das wissenschaftlichen Aussagen das Praedikat  ‚Gewissheit‘ verleihen koenne. Er begann in §1 seine „Kritik der reinen Vernunft“ mit einer knappen Beschreibung darueber, wie er zur Erkenntnis der ‚reinen sinnlichen Anschauungsform‘ des Raumes komme.

„In der transzendentalen Aesthetik … werden wir zuerst die Sinnlichkeit isolieren, dadurch, dass wir alles absondern, was der Verstand durch seine Begriffe dabei denkt, damit nichts als empirische Anschauung uebrig bleibe.“

Eine derartige Akrobatik konnte m.E. nur auf dem Feld Lockescher Erkenntnistheorie gedeihen. Sie setzte nach meinen eigenen Untersuchungen bei Vertretern der Erkenntnistheorie die dichotomische Auffassung Koerper-Geist voraus und sie ging weiter davon aus, dass dem menschlichen Geist alles moeglich sei umzusetzen, was er sich ausdenkt. Mir kam beim Lesen die Kritik des Lukrez an den Agnostikern in den Sinn, die er als Leute bezeichnet, die versuchten in der ‚eigenen Fussspur gehend gleichzeitig auf dem Kopf zu stehen‘. Mir war es vergleichsweise bisher unmoeglich gewesen, das zu leisten, was Kant hier als Weg zur „Erkenntnis des Apriorischen“ vorgab. Kant selbst schien sich der Problematik dieses Erkennens moeglicherweise bewusst gewesen zu sein, denn er erklaerte gleich auf der ersten Seite seiner „Kritik der reinen Vernunft“,  dass man um das Apriorische ‚absondern‘ zu koennen, ‚lange Uebung‘ brauche.

‚herausfinden‘ statt ‚beweisen‘

Dies kann moeglicherweise genuegen, um zu erlaeutern, wieso die Zustimmung zu Rorty’s Schlussfolgerungen, fuer mich in jüngster Zeit naeher lag, als die Abwehr seiner Ergebnisse. In meinen metaphysischen Zeiten hatte ich es vermieden mich mit Rorty zu beschaeftigen. Ich habe inzwischen herausgefunden, dass ‚philosophieren‘ und ‚handeln‘ besser funktionieren, wenn man Kantische Parameter verlaesst und sich auf ‚hingehen zu den Dingen‘ (Rolf Reinhold) und ‚verzichten‘ auf weitreichende Behauptungen‘ wie „Geist“ (Richard Rorty) einlaesst. Dieses ‚besser funktionieren‘ laesst sich nicht „beweisen“ – eine von zahlreichen Selbstverständlichkeiten unserer Kultur – dies kann jeder nur fuer sich selber herausfinden, wenn er dies moechte.

Es gilt auch: Die bessere Qualitaet von Rorty’s Idee einer ‚edifying philosophy‘ laesst sich genauso wenig „beweisen“, wie es Kant gelungen ist, seine ‚Aprioritaeten“ – eine hegelsche Bezeichnung – zu beweisen. Kant ging ganz menschlich selbstverstaendlich und gewohnheitsmaessig von dem aus, was er selber erlebt, erworben und in diesem Rahmen vorgefunden hatte: Bestimmte kulturelle Denk- und Handlungsgewohnheiten, die ihm wertvoll geworden waren und die er verteidigte, nachdem der Schotte Hume ihn aus seinem ‚dogmatischen Schlummer‘ geweckt hatte. Rorty wertete philosophierend auch vor dem Hintergrund ganz bestimmter kultureller Denk- und Handlungsgewohnheiten seine eigenen Forschungsergebnisse aus. Was Rorty von Kant ganz deutlich unterschied, war seine Entscheidung für eine gemeinschaftsstiftende Pragmatik der Wissenschaften und des Miteinanders  gegen die Gepflogenheit, weitere theoretische Behauptungen über bereits theoretisch Behauptetes zu deren Kriterien zu erheben.

Rorty Metaphilosophie


Die Erforschung der unbemerkten Selbstverstaendlichkeiten

Philosophische Probleme sind Produkte

Die Mehrheit der Philosophen gehe ueblicherweise davon aus, dass es die Philosophie mit Problemen zu tun habe, die sich jedem zeigten, der anfange nachzudenken. (Vgl. Richard Rorty: Philosophy and the mirror of nature. Princeton University Press 2009, S. 3. ) Das, was er bei Rudolph Carnap, Carl Hempel , Charles Hartshorne und Paul Weiss gelernt habe – erlaeuterte Rorty 1979 im Vorwort des „Spiegel der Natur“ – habe ihn dagegen veranlasst, davon auszugehen: Ein ‚philosophisches Problem‘ ist ein Produkt.

Metaphilosophie als Erforschung philosophischer Produkte

„Dieses ergab sich durch unbemerkt uebernommene Behauptungen, die in den Wortschatz Eingang gefunden hatten, mit denen das Problem dargestellt wurde. Bevor ein ‚philosophisches Problem‘ also einer ernsthaften Loesung zugefuehrt werden durfte, mussten diese Behauptungen untersucht werden.“ (Ebd. S. XXXI.)

Wenig spaeter sei er durch Wilfrid Sellars‘ Angriff auf den „Mythos des Gegebenen“ und Willard Quine’s Auseinandersetzung mit dem ‚Verhaeltnis zwischen Sprache und Tatsachen‘ angeregt worden, weiter in der bereits erwaehnten Richtung zu forschen. „Von da an bemuehte ich mich zunehmend die Behauptungen freizulegen, die hinter der Problematik moderner Philosophie steckten.“ (ebd.)

Verzicht auf Behauptungen ueber Wahrheit und Objektivitaet

Dieses umfangreiche Projekt Rorty’s war der Nachfolger eines ersten nicht weniger umfangreichen gewesen, das fuer Rorty’s Philosophieren weitreichende Folgen hatte. Angeregt durch seine metaphysisch orientierten Lehrer in Chicago hatte er sich in diesem ersten Projekt darum bemueht, in der Metaphysik einen voraussetzungslosen Ausgangspunkt fuer sein Philosophieren zu finden. Seine Forschungen hatte er mit dem Resuemee beendet, dass bisher kein Philosoph Platons ’sagenhaften Ort der Wahrheit und Objektivitaet‘ erreicht habe. Philosophen seien deshalb dazu uebergegangen, durch strategisch gekonntes Argumentieren Behauptungen ueber Wahrheit und Objektivitaet zu beweisen. Er entschied, dass es fuer ihn nicht in Frage kaeme, diesen mehrheitlich beschrittenen Weg des Philosophierens zu nehmen.

Die fragwuerdige Selbstverstaendlichkeit des Mentalen

Sein zweites Projektes fuehrte ihn im Wesentlichen zur Selbstverstaendlichkeit des Mentalen in unseren Denkgewohnheiten  Er veroeffentlichte Aussagen dazu u.a. 1967 in der Einleitung seines zu Studienzwecken herausgegebenen Buches „Die linguistische Wende“, 1972 in seinem Aufsatz „World well lost“ und schliesslich umfassend und detailliert 1979 in „Der Spiegel der Natur“. Er stellte sie in den Jahren vor dessen Erscheinen in den studentischen Diskurs und trug sie auf unterschiedlichsten Veranstaltungen im Zusammenhang mit modernen philosophischen Positionen vor. Die Vertreter des amerikanischen Mainstreams der Philosophie – ueberwiegend Analytische Philosophen – ignorierten nicht nur seine vereinzelt veroeffentlichten Ergebnisse, sondern auch den „Spiegel der Natur“. Letzterer wurde von Laien mit grosser Resonanz und Zustimmung gelesen. Rorty’s Wunsch, dass seine Forschungsergebnisse die philosophische Fachwelt zu Untersuchungen ihrer ‚unbemerkt zu eigen gemachten Behauptungen‘ anregen koennte, erfuellte sich bisher nicht.

Viele Philosophen halten nach wie vor unbeirrt an mentalen Irrtümern fest, wenn sie behaupten, “ … dass die Kriterien der Wahrheit … mit Gründen transzendiert werden können.“ Dies wird behauptet, obwohl bereits zugestanden wird, dass es nicht möglich sei, einen neutralen Standpunkt einzunehmen. (vgl.  Udo Tietz: Sprache und Verstehen in analytischer und hermeneutischer Sicht. Berlin (Akademie) 1995, S. 268. ) Auch transzendentalphilosophische Verbalkonstrukte wie Philosophie solle ‚auf der höchsten denkbaren Reflexions- und Allgemeinheitsstufe Aussagen … formulieren, die sagen, wie es sich überhaupt verhält.‘ (Vgl. K.-O. Apel, Auseinandersetzungen in Erprobung des transzendentalpragmatischen Ansatzes. Frankfurt am Main (Suhrkamp) 1998. Rezension) haben aus meiner Sicht nichts Neues gefunden. Sie dienen lediglich dazu an der üblichen „philosophischen Argumentation“ teilzunehmen (Vgl. Apel: Transformation der Philosophie. Bd. 1, Frankfurt am Main (Suhrkamp), 1973, S. 62.), wie sie u.a. im Rahmen der Diskursethik immer noch in althergebrachter Weise geführt wird. Sie können m.E. – wie Rolf Reinhold formulierte – als „Pfeifen im Wald“ angesehen werden, um zu verbergen, dass Mentales im Dunkeln liegt.

Es scheint so, als ob auch für Philosophen die von Hume getroffene Feststellung gilt, dass die Gewohnheit die große Führerin durch unser menschliches Leben sei. Der  seit Jahrhunderten ausgebliebene philosophische Diskurs über Humesche Ansätze könnte ein weiteres Indiz dafür sein, dass philosophierende Menschen all zu Selbstverständliches – die  ‚unbemerkt übernommenen Behauptungen‘ – für bare Münze nehmen und so auch gegen kapierbare  Einwände unbeirrt daran festzuhalten.